Unser Köln
Auf einer Welle – Freundschaften im Alter
Sabrina Steiger · 10.10.2025
Welche Rolle spielen Freundschaften im Alter? Foto: Sabine Große-Wortmann
Während der Freiluftsaison sind Angela Münch und Bernhilde Luft regelmäßig fest verabredet: „Ich arbeite bei ihr im Garten und bekomme dafür ein leckeres Mittagessen“, erklärt Angela. Berni, wie sie von den meisten genannt wird, lacht. „Angela kann stundenlang vor einem Beet sitzen und das Unkraut herauszupfen. Ich bin mehr für das Grobe.“ Und fürs Kochen.

Bernhilde Luft (links) und Angela Münch verstehen sich meistens prächtig. Fotos: Sabine Große-Wortmann
Die beiden kennen sich seit mehr als fünfzig Jahren. 1973 fängt Angela in der Verwaltung eines mittelständischen Kölner Unternehmens an. Berni arbeitet dort in der Buchhaltung. Beide sind Anfang zwanzig und finden sich sympathisch. Eines Tages sagt Berni: „Wir haben einen Bowling-Club gegründet, willst du mitmachen?“ Und wie sie wollte, erinnert sich Angela: „Darüber ist dann unsere Freundschaft entstanden.“
Arten der Freundschaft
Freundschaft, was ist das eigentlich? „Eine zwischenmenschliche Beziehung, die besonders viel individuellen Gestaltungsspielraum bietet“, sagt das Lexikon der Psychologie von spektrum.de. Und weiter: „Freundinnen und Freunde bestimmen selbst, wie die Freundschaft geführt werden soll, wie intensiv, wie nah, wie offen, wie oft und in welcher Art und Weise sie füreinander da sein wollen.“
Schon der Philosoph Aristoteles beschrieb drei Modelle: die Freundschaft aus Lust, bei der Spaß und Freude im Vordergrund stehen, die Freundschaft aus Nutzen, aus der beide einen Gewinn ziehen, und Freundschaft aus Tugend, die auf der Wertschätzung des Charakters des Anderen beruht. Besonders Letztere habe das Potenzial, ein Leben lang zu halten.

Freundschaft lebt von Wertschätzung und gegenseitiger Unterstützung. Fotos: Sabine Große-Wortmann
Spaß haben Angela und Berni zusammen. Sie essen abends Bratwurst in der Deutzer Kneipe „Lommi“, machen in der Gruppe Bowling-Touren zum „Sauerland-Stern“ und erkunden mit anderen Freundinnen Hawaii. Die Verbindung bekommt mehr Tiefe, als Angelas Mutter schwer erkrankt und schließlich stirbt. Angela ist Ende zwanzig. „Da konnte sie sich bei mir auch mal ausheulen“, sagt Berni. Auch Bernis Eltern mögen Angela. „Die haben sie aufgenommen wie ihr eigenes Kind.“ Bernis Vater, von dem sie die Freude am Kochen geerbt hat, wagt sich für Angela sogar an ein neues Gericht: Germknödel. „Die waren lecker“, erinnert sich Angela, „ich kannte sie allerdings nicht mit Gulasch, wie er sie gemacht hat.“
Angela wiederum steht ihrer Freundin bei, als sie beim gemeinsamen Griechenland-Urlaub erfahren, dass Bernis Mutter ins Krankenhaus muss. „Wir haben uns gegenseitig stützen können.“ Dabei kracht es zwischen den unterschiedlichen Charakteren durchaus öfter. Kein Wunder, meint Angela, denn sie selbst sei Krebs und die Freundin Skorpion: „Sie mit ihrem Stachel und ich mit meinen Scheren – wir kommen uns schon mal in die Quere.“
Über alles reden können
Längst nicht alle Deutschen haben einen besten Freund oder eine beste Freundin, wie das Markt- und Sozialforschungsinstitut Sinus in einer repräsentativen Studie herausfand. Nur 66 Prozent der Teilnehmenden bejahten die entsprechende Frage. Im Schnitt hätten die Deutschen 3,7 enge Freunde und elf Personen im erweiterten Bekanntenkreis. Offene Kommunikation ist den Deutschen nach dieser Studie am wichtigsten: Für 71 Prozent zeichnet ein ehrlicher Umgang eine gute Freundschaft aus, weitere 70 Prozent wollen mit ihren Freunden über alles reden können.
Das können Manfred Schiemann (76) und Eva Anyfantis (60). Sie haben sich auf einer Weihnachtsfeier des Vereins „Freunde alter Menschen“ getroffen und waren sich auf Anhieb sympathisch. Manfred wollte dort neue Kontakte knüpfen; Eva kam mit ihrer Schwester. Schnell waren sie sich einig: „Wir wollen uns regelmäßig treffen.“ Der Verein hätte Eva lieber als Besuchspartnerin zu einer Frau vermittelt. Manfred und Eva blieben jedoch hartnäckig – sie mochten sich.
Und so besucht Eva ihn jetzt seit knapp einem Jahr regelmäßig. Sie spielen Rummikub, gehen spazieren oder Eis essen, doch vor allem: Sie reden. „Das sind sehr schöne Treffen, die Tiefgang haben und einfach guttun“, sagt Eva.
Lachen und Weinen
Beide genießen die Gesellschaft des anderen und sprechen viel über persönliche Dinge. „Da darf ich mich auch mal ausweinen“, sagt Manfred. Ja, sie würden sich als Freunde bezeichnen. „Freundschaft beruht auf Vertrauen und Sympathie“, meint Manfred, und Eva ergänzt: „Erst Sympathie, dann entwickelt sich Vertrauen.“

Eva Anyfantis und Manfred Schiemann sprechen viel über Persönliches. Fotos: Sabine Große-Wortmann
Letztendlich bedeute Freundschaft für jeden Menschen etwas anderes, meint Gina Conrad, Gerontologin am Kölner St. Marien-Hospital. Im Studium hat sie sich mit den sozialen, psychologischen und medizinischen Aspekten des Alterns befasst. Mit einer Definition von Freundschaft tut sie sich schwer. Aber sie weiß, wie wichtig Freundschaften fürs gesunde Altern sind. Eine der Grundlagen der Altersforschung, die Aktivitätstheorie von Rudolf Tartler, besage genau das: „Nur mit erfolgreichen Freundschaften ist erfolgreiches Altern möglich“, so Conrad. Und die Definition von erfolgreichem Altern lautet in diesem Zusammenhang: zufrieden und glücklich.
„Nur mit erfolgreichen Freundschaften ist erfolgreiches Altern möglich““
Studien belegten die positiven Auswirkungen auf die psychische, aber auch die physische Gesundheit. Wer Freunde hat, wird seltener aus Einsamkeit depressiv. Und Freunde unterstützen gesunde Verhaltensweisen – indem sie zum Beispiel zum gemeinsamen Sport motivieren. Im Alter, so Conrad, würden jedoch nicht nur die langjährigen Freunde weniger, weil sie zum Beispiel sterben, sondern auch die Gelegenheiten, neue kennenzulernen. Anlässe, Freundschaften zu schließen – etwa als Eltern oder während des Berufslebens –, fallen im Laufe des Lebens weg. Eingeschränkte Mobilität erschwert es, Hobbys zu pflegen oder Verabredungen wahr zunehmen. Auch die Scham über tabubehaftete Erkrankungen wie zum Beispiel Parkinson könne zum sozialen Rückzug führen, ergänzt Conrad. Ebenso lassen Trauer, die Zurückhaltung bei Geldsorgen oder die eigene Gebrechlichkeit Menschen vereinsamen, wenn sie nicht über ein belastbares Freundschaftsnetz verfügen.
Neue Kontakte finden
„Umso wichtiger ist es, dass Institutionen neue Möglichkeiten für Kontakte schaffen“, sagt Conrad. Das könnten Vereine sein, Chöre oder Selbsthilfe-Gruppen. Und auch medizinische Einrichtungen wie die Geriatrische Reha am St. Marien-Hospital: „Wir bieten bewusst einen gemeinsamen Mittags- und Abendtisch an.“
In die Geriatrische Reha kommen Patienten ab 65, die zum Beispiel nach einem Oberschenkelhalsbruch auf die Beine kommen müssen. Im Aufnahmegespräch fragt Conrad, wer sich denn zu Hause um sie kümmern werde. „Wenn die Angehörigen weit weg wohnen oder verstorben sind, höre ich häufig: ‚Ich habe Freunde, die mich unterstützen‘.“ Aber sie erkennt auch, wenn Kontakte fehlen und der Mensch einsam ist. Hier sollen auch die Tablet-Kurse helfen, die sie gibt: „Damit haben sie dann noch mal eine andere Möglichkeit, Kontakte aufrechtzuerhalten.“
Eigeninitiative ist gefragt
Nach der Erfahrung von Manfred Schiemann reicht die digitale Verbindung jedoch nicht. Als er vor zwölf Jahren, nach Scheidung und Hüft-OP, aus einem norddeutschen Dorf nach Köln zog, engagierte er sich bewusst im SeniorenNetzwerk Altstadt-Nord und anderen Organisationen. „Da haben sich einige Freundschaften entwickelt. Wir haben uns zu Kaffeetrinken und Spaziergängen getroffen.“

Gemeinsam lachen stärkt die Freundschaft. Fotos: Sabine Große-Wortmann
Doch dann kam Corona. Und bei Manfred Schiemann wurde Krebs festgestellt. Die Verbindung zu den neuen Freunden riss schnell ab: „Am Anfang haben wir noch telefoniert oder E-Mails geschrieben, aber bald war da gar nichts mehr.“ Zum Krebs kam die Depression: „Ich war nicht mehr nur allein, sondern auch einsam.“ Heute bezeichnet er sich als geheilt und kümmert sich wieder aktiv um neue Kontakte – im SeniorenNetzwerk oder über den Verein. Und rät anderen, die auf der Suche nach Freunden sind: „Es ist wichtig, dass man selbst rausgeht.“
Auch Berni und Angela sind eine Zeit lang getrennte Wege gegangen. Berni verließ den gemeinsamen Arbeitgeber, um sich selbstständig zu machen, Angela blieb. Andere Freunde rückten in den Vordergrund, „und gestritten haben wir uns auch. Warum eigentlich?“ Sie wissen es nicht mehr. Doch als Berni Ende der 1990er Jahre in Angelas Nachbarschaft zieht, ist bald alles wieder wie früher. Und als Angela lebensbedrohlich erkrankt, da „war sie die Einzige, die daran geglaubt hat, dass ich das schaffe“, sagt Angela. Bernis Optimismus habe ihr immer geholfen.
Heute, mit 72 Jahren und als Rentnerin, arbeitet sie bei Berni, die auch mit fast 75 noch fest im Berufsleben steht. Zweimal in der Woche hilft Angela ihr in der Firma. Sie feiern Weihnachten und Silvester zusammen, und als Berni ihren Hund Hermine aus dem Tierschutz holt, ist Angela dabei. Eine Freundschaft fürs Leben? Ja, auch wenn Angela betont: „Wir haben jede unseren eigenen Freundeskreis und unser eigenes Leben.“ Aber, sagt ihre Freundin Berni, „es ist schön, dass wir uns aufeinander verlassen können.“
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Tags: Altersforschung , Bekanntschaft , Einsamkeit , Freundschaft , Gesellschaft , Kennenlernen , Kontakte
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