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Leben in Köln

Erinnerungen an Böll

. · 29.11.2017

Foto: ullstein bild – Sven Simon

Foto: ullstein bild – Sven Simon

Vor hundert Jahren wurde der Nobelpreisträger Heinrich Böll in Köln geboren. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit. Drei persönliche Erinnerungen zum Jubiläum.

Ein nachträgliches Bekenntnis zu Heinrich Bölls „Trümmerliteratur“

Es ist der Krieg, der uns nicht schlafen lässt, der uns verfolgt. Uns – das sind auch wir, die 1930-Geborenen. Mit 15 Jahren im Endkampf um Berlin, an Körper und Seele schwer verletzt. Man kann gar nicht anders denken als: Nie wieder Krieg!
Ich mache mir den Titel von Heinrich Bölls Kriegstagebüchern, „Man möchte manchmal wimmern wie ein Kind“, zu eigen. Ja: Manchmal muss ich in meinen Träumen wimmern wie ein Kind. Heute noch.
In großer Verehrung und Bewunderung werde ich am 21. Dezember seiner gedenken. Die Erinnerung an eine kurze Begegnung während der Dreharbeiten zu „Haus ohne Hüter“ in einer Backstube in der Kölner Südstadt wird dann wieder lebendig. Ein anerkennendes, freundschaftliches Lächeln von ihm habe ich im Gedächtnis behalten.

Günther Lamprecht, Schauspieler

Heinrich Böll im Frack

Heinrich Böll erfuhr von seinem Glück in einem Hotel in Athen. Sein Sekretär überbrachte ihm telefonisch die gute Nachricht. „Die schwedische Akademie wird Ihnen den Nobelpreis für Literatur des Jahres 1972 verleihen.“ „Wie, ich allein?“, fragte Böll ungläubig. „Und nicht auch der Grass?“
Im Verlag, bei Kiepenheuer & Witsch, wurde die Nachricht mit heller Begeisterung aufgenommen. Aber es blieb uns keine Zeit, die Sektkorken knallen zu lassen. Alle Bücher von Böll mussten nachgedruckt werden. Neben der einen Druckerei musste eine zweite und dann noch eine dritte gefunden werden. Die Glückwünsche aus aller Welt kamen waschkorbweise.
Heinrich Böll war nie zuvor in Stockholm gewesen. Er hatte keinen Frack im Gepäck, den zu tragen von den Preisträgern erwartet wurde. Ich traf ihn auf dem Flur seines Hotels. Er sah nicht glücklich aus. „Ich muss mir einen Frack besorgen“, sagte er. Ich kannte Heinrich Böll vor allem in beigen Cordhosen. Als er aus der Hand des Königs die Ehrenurkunde entgegennahm und sich mit einer leichten Verbeugung beim Publikum für den Applaus bedankte, sah er hervorragend aus.
Ich habe Heinrich Böll auf den Höhepunkten, aber auch auf den Tiefpunkten seines Lebens erlebt. Wie immer seine Stimmung oder Befindlichkeit auch war, er war in jeder Situation, an die ich mich erinnern kann, vollkommen er selbst.

Dr. Reinhold Neven Du Mont, Bölls Verleger

Heinrich Böll – ein Leben

Heinrich Böll wurde am 21. Dezember 1917 in der Südstadt geboren. Nach dem Abitur 1937 begann er zunächst eine Lehre im Buchhandel, studierte dann Germanistik. Mit Kriegsausbruch wurde er zur Wehrmacht eingezogen und war sechs Jahre lang Soldat. Seit 1947 veröffentlichte er Erzählungen, Romane, Hör- und Fernsehspiele, Theaterstücke und zahlreiche Essays. Zusammen mit seiner Frau Annemarie war er auch als Übersetzer englischsprachiger Literatur tätig. 1954 zog Böll mit seiner Frau und den drei Söhnen in ein eigenes Haus in Köln-Müngersdorf und reiste erstmals nach Irland, 1957 wird das „Irische Tagebuch“ veröffentlicht. Böll erhielt 1967 den Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, 1972 den Nobelpreis für Literatur. Er starb am 16. Juli 1985 in Langenbroich/Eifel.
Der Nachlass von Heinrich Böll wurde im Kölner Stadtarchiv aufbewahrt und bei dessen Einsturz im März 2009 größtenteils stark beschädigt oder vernichtet. Die Urkunde von Bölls Literatur-Nobelpreis konnte jedoch schon bald nach dem Einsturz geborgen werden.

„… Schritt halten mag und kann ich nicht.“

Oft werde ich gefragt, was würde er wohl zu heutigen Ereignissen sagen. Ich frage mich das eigentlich fast nie. Wenn ich etwas von ihm gelernt habe, dann mir eine eigene, ganz unabhängige Meinung zu bilden – soweit das überhaupt möglich ist, wir alle sind Gefangene von Raum und Zeit.
Am schönsten war es für uns als Familie immer in Irland, anfangs ohne Telefon, Post kam erst nach etwa 14 Tagen an. Der Kölner Stress, die permanenten Anforderungen und auch Anfeindungen waren weit weg. Wir waren weg vom Mief der Bundesrepublik, deren Fehlentwicklungen mein Vater in vielen Texten aufzeigte. Er schrieb: „Das Schlimmste, das ich kenne, ist Untertänigkeit oder der Wunsch, sich unbedingt zu unterwerfen, dieses Mitmachen, Mitlaufen, Mitsingen, Mitmarschieren und dabei auch noch in eine peinliche Euphorie verfallen.“
Viele versuchten, ihn für ihre Zwecke, für ihre Partei einzuspannen, und nahmen keine Rücksicht auf seine Gesundheit. Es waren vergebliche Bemühungen und sie wurden doch unermüdlich wiederholt. Er war nicht zu funktionalisieren, er war ein Einzelgänger und im guten Sinne eigensinnig.
Wichtig ist mir, dass die Menschen lesen, was Heinrich Böll geschrieben hat, und nicht nur lesen, was über ihn geschrieben wird. Nur so können sie sich ihr eigenes Urteil bilden, können wegkommen von den zahlreichen Klischees über ihn. Es möge gelingen, das in meinen Augen verzerrte Bild von ihm zu korrigieren.
Wie über alle „Prominenten“, so sind auch über meinen Vater viele falsche Geschichten, Gerüchte und Tatsachenbehauptungen im Umlauf, auch zum Tod und zum Begräbnis.
Ulrich Greiner schreibt anlässlich des 100. Geburtstages: „Heinrich Bölls literarische Bedeutung wurde bis heute überhaupt noch nicht gänzlich erfasst.“
Dies sehe ich genauso.

René Böll, Heinrich Bölls Sohn

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