A- A A+

Leben in Köln

Erinnerungen zwischen Kalb und Kohl

rde · 25.12.2018

Foto: René Denzer

Foto: René Denzer

Das Heu duftet, Kühe grasen auf der Weide, im Stall grunzt ein Schwein. Ein Ort des Glücks, nicht nur für Demente.

Die Zunge des Kalbs ist rau und kitzelt auf der Hand von Anita Braun. „Tobi, das ist so wie damals in Bayern, wo wir mit Papa im Urlaub waren und du immer im Kuhstall geholfen hast“, sagt sie. Tobi ist ihr 40-jähriger Sohn. Er lächelt. Noch knapp drei Stunden zuvor hat Anita Braun ihn nicht direkt erkannt, als er sie daheim besuchte. „Da war ich wieder mal der nette junge Mann, der an der Tür geklingelt hat.“ Anita Braun ist an Demenz erkrankt. Vor gut zwei, drei Jahren fing es bei der heute 73-Jährigen an. Schnell wurde es schlimmer – dann erkannte sie Tobias nicht mehr. Der hat von Bekannten jüngst einen Tipp bekommen: „Fahrt mal nach Lohmar zu diesem Hof.“ Gemeint war das Bauerngut Schiefelbusch.

Ein paar Meter von dem Kalb entfernt liegen ein paar Schweine in der Sonne im Stroh. Anita Braun beobachtet sie, dann fährt sie ihrem Sohn durchs Haar, krault den Nacken, dort wo die Tätowierung ist, die sie gar nicht so leiden kann. „Gefällt es dir?“, fragt er. „Es ist schön“, sagt sie.

Das Bauerngut Schiefelbusch wird von Helga und Albert Trimborn betrieben. Seit Jahren ermöglichen sie Menschen einen Einblick in ihre Arbeitswelt. An bestimmten Tagen kommen nicht nur Familien mit Kindern, sondern auch ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen oder Erkrankungen – beispielsweise Demenz.

Viele Demente haben einen Bezug zur Natur

Berührungen, Geräusche und Gerüche auf dem Hof – sie können Erinnerungen wecken, können Türöffner sein, weiß Änne Türke, Mitarbeiterin im Demenz- Servicezentrum Region Köln und das südliche Rheinland. Zu Menschen mit Demenz werde über Emotionen ein Kontakt gesucht, sagt sie, welcher Schlüssel der richtige ist, sei aber individuell unterschiedlich. „Das orientiert sich sehr an der Biografie des Menschen.“ Allerdings hätten viele Menschen einen Bezug zu Natur und Tier, so Türke.

Helga Trimborn beschäftigt sich seit längerem mit dem Thema. Ausschlaggebend sei eine Fachtagung auf ihrem Hof gewesen. Menschen, die erkrankt sind, sollen sich auf dem Hof wohlfühlen. „Das tut auch den Angehörigen gut.“ Die Landwirtin weiß, was es heißt, einen Menschen zu pflegen. Ihre Mutter saß acht Jahre lang im Rollstuhl. Daher will sie auch weiterhin am Ball bleiben.

Zum Abschluss ihres Besuchs gönnen sich Anita und Tobias Braun im Hof-Café Käsekuchen mit Rhabarber. „Das war wie ein kleiner Urlaub“, sagt er. „Ganz so wie damals mit Papa in Bayern, nicht wahr?“, sagt seine Mutter. Für einen Moment scheint nicht die Erinnerung vergessen, sondern nur eines: die Krankheit.

Bauerngut Schiefelbusch
Schiefelbusch 3, 53797 Lohmar
Tel. 02205 / 835 54

Tags: Gesundheit

Kategorien: Leben in Köln